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10 Apr
In Blog

Die große Cronut-Krise 2014

 

In New York City spielte sich in den vergangenen 7 Tagen Erstaunliches ab. Im Zentrum der Geschichte stand eine stadtbekannte Bäckerei und schuld an allem war eine kleine Maus. Aber der Reihe nach.

 

 

Seitdem der schon in den Jahren zuvor preisgekrönte Konditor Dominique Ansel im November 2011 seine nach ihm selbst benannte kleine Bäckerei in Soho, Manhattan, NYC, eröffnet hatte (http://www.dominiqueansel.com) ging es mit dieser ununterbrochen bergauf. Bereits 2012 wurde die Dominique Ansel Bakery von verschiedenen Fachzeitschriften zum besten Newcomer bzw. gar generell zur besten Bäckerei New Yorks gewählt. Als Ansel dann im Jahr 2013 noch die geniale Idee hatte, ein französisches Croissant und einen amerikanischen Doughnut miteinander zu kombinieren und damit den Cronut erschuf, kannte der Hype schließlich keine Grenzen mehr. Es war wohl so etwas wie Liebe auf den ersten Bissen.

 Kombination aus Croissant und Doughnut, der Cronut

Limitierte Produktionsmengen sorgten dafür, dass die New Yorker täglich schon weit vor der Ladenöffnung um 8 Uhr morgens zu Hunderten in einer meterweiten Schlange verharrten, um die heiß begehrten „Hybrid-Gebäcke“ zu ergattern. (Angeblich hatte sich zwischenzeitlich sogar ein Schwarzmarkt etabliert, wodurch die Teigteilchen statt der offiziellen 5$ für bis zu 100$ ihre Abnehmer fanden. (Quelle: UPI.com)) Ansel wurde in der Folge mit noch mehr Auszeichnungen überhäuft (u.a. als einer der innovativsten Jungunternehmer der USA unter 40 Jahren sowie der Daily Mail UK zufolge der meist gefeierte Konditor der Welt) und die Lobeshymnen auf seinen Laden und v.a. seine Cronuts sprengten jeden Superlativ…..Im Sommer 2013 war geradezu von einer „Cronut Mania“ die Rede.

Bis dann am vergangenen Donnerstag, den 3. April 2014, plötzlich eine kleine Maus auf den Plan trat.

Dem in New York City viel beachteten Newsblog The Gothamist wurde ein nur 25 Sekunden kurzes Video zugespielt. Aufgenommen in eben dieser Dominique Ansel Bakery. Und der Hauptdarsteller war eine winzige Maus. Ein Kunde hatte sie gefilmt, das Video auf Youtube gestellt und sich sehr darum bemühmt, seinem „Werk“ auch ja die gebührende Aufmerksamkeit zu verschaffen. Der Gothamist stürzte sich selbstverständlich umgehend auf diese „Sensationsmeldung“ und veröffentlichte im Handumdrehen einen reißerischen Artikel – O-Ton: „Eine niedliche Maus….genau hier hinter dem Counter, inmitten eurer Cronuts!“- garniert mit Screenshots und Erläuterungen des Hobbyfilmers, der sich bis heute hinter seinem Synonym Cody Pickrodt (seines Zeichens ein recht bekannter Karikaturist und Comic-Zeichner, so viel zur künstlerischen Ader…..) versteckt. Seine Einschätzung war dann -wenig verwunderlich- auch bemüht vorwurfsvoll: „Es schien so, als ob die Angestellten sich der Tatsache (dass eine Maus vor den Augen der wartenden Kunden quer durch den Laden flitzt) vollauf bewusst waren. Weshalb ich es ihnen gegenüber auch erst gar nicht erwähnt habe.“ Statt also einen Mitarbeiter dezent darauf hinzuweisen und zumindest dessen Reaktion abzuwarten, somit nicht direkt das Schlimmste anzunehmen, stellte Pickrodt –ganz Gutmensch- das Video vorsichtshalber also lieber ins Internet, um seine Mitbürger vor der mutwillig in Kauf genommenen Gesundheitsgefährdung zu warnen. Ein Schelm, wer hier wiederum Böses von ihm denkt…..

 Screenshot des Maus-Internetvideos von Cody Pickrodt

Keine 24 Stunden später wurde die städtische Gesundheitsbehörde (DOH) in der Bäckerei vorstellig und ließ das Geschäft bis auf Weiteres schließen. Die sich nun wie ein Lauffeuer verbreitende Nachricht von der Schließung der Bäckerei sorgte für heiße Diskussionen in diversen Internetforen. Wie nicht anders zu erwarten und auch durchaus nachvollziehbar, sahen einige natürlich die nicht von der Hand zu weisende Gesundheitsgefährdung als bedenklich an und ein paar wenige verkündeten ganz drastisch, nie wieder die Dominique Ansel Bakery betreten zu wollen. Die Mehrheit jedoch monierte wohl nicht ganz zu Unrecht, dass da scheinbar jemand auf Kosten eines bislang tadellosen und vor allem sehr erfolgreichen kleinen Unternehmens zu etwas Berühmtheit gelangen wollte. Schließlich sei eine kleine Maus per se nicht wirklich eine Seltenheit in New York City, wo übrigens, auch in Manhattan, zufälligerweise erst zwei Tage zuvor eine Dunkin Donuts Filiale geschlossen wurde, und zwar auch aufgrund eines Schädlingsbefalls, gleichermaßen dokumentiert in einem Internetvideo. In diesem huschte jedoch nicht bloß ein kleines Mäuschen auf dem Fußboden herum, sondern dort tanzten gleich mehrere recht stattliche Ratten tatsächlich durch die Produktauslagen...

Dies kann den Vorfall in der Dominique Ansel Bakery freilich nicht verharmlosen, allerdings ist die Publikation des Dunkin Donuts’schen Rattenzirkuses hinsichtlich einer offensichtlich ersthaften Gesundheitsgefährdung weitaus weniger in die Kategorie „aufgeblasene, Sensationsgier-getriebene Panikmache“ einzuordnen. So mancher vermutete gar eine von Dunkin Donuts initiierte Aktion, um dem allseits beliebten Konkurrenten eins auszuwischen und gleichzeitig die Aufmerksamkeit der Berichterstatter vom eigenen „Skandälchen“ wegzulenken.

Nach der Schließung am Freitag vergingen kaum ein paar Stunden ohne neue Wasserstandsmeldungen.

Einem kurzen Statement der Behörde war zu entnehmen, dass der Laden tatsächlich wegen des dringenden Verdachtes eines Schädlingsbefalls -als Beweis diente das Video- geschlossen wurde, um eingehende Untersuchungen durchzuführen. Von Seiten der Bäckerei hieß es, das gesamte Team –immerhin insgesamt 20 Mitarbeiter umfassend- habe noch am Donnerstag Abend, nach Bekanntwerden des Maus-Dilemmas, sämtliche Räumlichkeiten einer laut eigenen Aussagen 7-stündigen Reinigungsaktion unterzogen, wobei man wohl nur eine einzige Maus fand – also vermeintlich den kleinen Filmstar, über dessen Schicksal im Übrigen niemals wieder ein Sterbenswörtchen verloren wurde…..

Der kleine unruhestiftende Einzelgänger hatte sich -so jedenfalls die Vermutung der Angestellten- höchstwahrscheinlich aus dem Garten kommend, der sich auf der Rückseite des Ladens befindet, durch eine während der vorangegangenen, frühlingshaften Tage kurzzeitig offenstehende Tür Zutritt verschafft.

Der PR-Beauftragte der Bäckerei gab ferner zu verstehen, dass man selbstverständlich alles dafür tun werde, die Missstände schnellstmöglich zu beseitigen sowie sämtliche Auflagen des Gesundheitsamtes mehr als nur erfüllen zu wollen.

Am Samstag wurde dann der komplette Untersuchungsbericht auf der Webseite des Gesundheitsamtes veröffentlich. Aus diesem ging hervor, dass die Inspektoren vier sanitäre Verstöße ermittelt hatten, von denen drei als „kritisch“ eingestuft wurden und zwei von diesen wiederum in Zusammenhang mit einem Mäusebefall stünden. Dies führte dazu, dass die Hygiene-Beurteilung der Bäckerei von der bisherigen Bestnote A zwei Stufen auf die schlechteste Ebene C herabgestuft wurde. (Seit 2010 gibt es in New York City eine Art Hygieneampel, die für jeden Gastronomie-Betrieb eine Beurteilung seiner Hygienestandards vorsieht und dessen Ergebnis für die Verbraucher offen einsehbar am Eingang jedes Lokals bzw. Geschäftes zu platzieren ist. Außerdem kann jedermann auf der Homepage der Behörde die Ergebnisse sämtlicher, regelmäßig durchgeführter Untersuchungen einsehen.)

Es wurde weiterhin festgehalten, dass das kleine Unternehmen nun gewisse Vorgaben umzusetzen habe und im Falle eines positiven Ergebnisses einer Nachprüfung in den darauf folgenden Tagen seinen Betrieb wieder aufnehmen dürfe. Immerhin. Nach vorheriger Ungewissheit begann nun also die große Warterei auf das Ende des „Cronut-Entzuges“.

Am Montag Vormittag ließ dann erneut der Gothamist aufhorchen: Von Seiten der Bäckerei hieße es, man erwarte stündlich den erneuten Kontrollbesuch der Inspekteure, um dann direkt wieder loslegen zu können. Einer Anfrage des Gothamist bei der Behörde entgegnete man, dass dort wiederum auf die Einreichung des ausgefüllten bzw. abgearbeiteten „Besserungsmaßnahmen-Planes“ gewartet würde. Weiterhin sickerte durch, dass der triftigste Grund zur fortwährenden Schließung auch weniger in strukturellen Gegebenheiten der Räumlichkeiten begründet war, sondern vielmehr durch den Fund hunderter Mäuseexkremente eine konkrete Gesundheitsgefährdung vorgelegen war.

Die Reaktion der Bäckerei erfolgte prompt. Eine Sprecherin versicherte glaubhaft, man sei über diese Entdeckungen absolut schockiert gewesen, relativierte jedoch, dass in den Produktionsbereichen nichts dergleichen sichergestellt wurde und somit zu keiner Zeit eine Gesundheitsgefährdung bestand. Gleichwohl versprach sie, dass man ab sofort noch intensiver und gewissenhafter die ohnehin schon großen Anstrengungen der regelmäßigen Reinigungsarbeiten verfolgen wolle und man schließlich sogar bereits drei festangestellte Putzkräfte beschäftige. - Ob man nach dieser „Affäre“ vielleicht in Erwägung ziehen könnte, jene Stellen eventuell neu zu besetzen, wurde überraschenderweise nicht weiter nachgefragt….

Am späten Montag Nachmittag war es dann aber endlich so weit. Die Daumen der Kontrolleure gingen nach oben und das bereits mit den Hufen scharrende Bäckerei-Team konnte umgehend mit der Produktion für Dienstag beginnen. Die dann ganze dreieinhalb Tage währende Cronut-Krise war mit der Ladenöffnung, wie immer pünktlich um 8 Uhr, am Dienstag Morgen also endgültig Geschichte. Das „Re-Opening“ geriet dann -ganz amerikanisch- zu einem mittelgroßen Event, mit Massen unerschütterlicher Cronut Fans und fast noch einmal so vielen Presse-Leuten, die sich dieses Comeback natürlich nicht entgehen lassen wollten. Zur Feier des Tages hatte sich Chef Dominique Ansel sogar eine ganz besondere Kreation ausgedacht: Einen „special black passion fruit caramelia chocolate Cronut“ mit einem goldenen Stern garniert. Dies habe er sich in Anlehnung an die Boxer-Kultfigur Rocky Balboa ausgedacht, der sich auch durch nichts und niemanden unterkriegen gelassen hat und aus dessen Titelsoundtrack -der angeblich das gesamte, nervenaufreibende Wochenende über im Laden gelaufen ist- er voller Pathos zitierte: “getting hit and keep moving forward…that’s how winning is done!”“getting hit and keep moving forward…that’s how winning is done!”“getting hit and keep moving forward…that’s how winning is done!”“getting hit and keep moving forward…that’s how winning is done!”

Bereits am Montag Abend hatte sich der Chef -der auch während des gesamten Wochenendes über Twitter kontinuierlich mit den Unterstützern seines Unternehmens in engem Kontakt stand und stets sehr darum bemüht war, die Wogen selbst zu glätten- direkt nach dem OK der Gesundheitsbehörde, über Facebook an die Öffentlichkeit gewandt. Untermalt von einem Foto des Bäckerei-Teams, auf dem alle das für Sylvester Stallone-Figuren typische, kämpferische rote Stirnband tragen.

 Das Bild zum offenen Brief nach der Cronut Krise auf Facebook

Darin bedankte er sich für die unzähligen aufmunternden Nachrichten, die ihn und sein Team in dieser schweren Situation erreicht haben und entschuldigte sich bei seinen Fans für die Unannehmlichkeiten und Enttäuschungen. Außerdem stellte er heraus, dass man mit solch unreflektierten, auf Sensationsgier abzielenden Aktionen, ganze Existenzen zerstören könne. Der hart erarbeitete Erfolg und das dadurch entstandene öffentliche Interesse mache einen eben leider schnell zur Zielscheibe solch kleiner Schmutzkampagnen. Weniger erfolgreiche Läden versprechen eben nicht den gewünschten Effekt. Außerdem gelobte er, man habe bereits alles Menschenmögliche unternommen, jeglichen künftigen Problemen vorzubeugen und werde von nun an umso härter daran arbeiten, sich ständig zu verbessern und auch jedem noch so marginalen Hinweis auf eine etwaige Unsauberkeit unmittelbar nachgehen. Jedermann könne sich schließlich von der Makellosigkeit der offen einsehbaren Produktionsstätten selbst überzeugen. Zum Schluss richtete er noch den besonderen Appell an die Leserschaft, sich stets selbst ein Bild zu machen sowie sämtliche Details zu hinterfragen, bevor man voreilige Schlüsse zieht. Er und sein Team sind jederzeit für alle Arten von Tipps und Kritik völlig offen, um daraus zu lernen und sich ständig weiterzuentwickeln.

Viel geschickter ist mit einem solchen Zwischenfall definitiv nicht umzugehen! Die Onlinewelt kann einem zwar, nicht zuletzt wegen ihrer durch virale Effekte bedingten Schnelllebigkeit, schwer zu schaffen machen. Richtig eingesetzt jedoch, sind speziell die sozialen Medien andererseits ein wunderbares Werkzeug zur Interaktion mit seinen Kunden - auch und vielleicht sogar gerade in Krisenzeiten. Vermutlich hat die Dominique Ansel Bakery jetzt sogar eine noch weitaus größere Schar an Fans hinter sich als noch vor einer Woche, bevor sich die Ereignisse überschlugen. Eine Tragödie mit Happy End! (Zumindest für alle außer der Maus sowie ihren Entdecker und PR-Manager)